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Silber für Deutschland – das Salz in unseren Wunden von Riga

epa10658330 Team Germany celebrates winning the semi final match between USA and Germany at the IIHF Ice Hockey World Championship 2023 in Tampere, Finland, 27 May 2023. EPA/KIMMO BRANDT
Die Deutschen taten uns in Riga richtig weh.Bild: keystone
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Silber für Deutschland, Bronze für Lettland – das Salz in unseren Wunden von Riga

Das überraschende Ende der WM mit Gold für Kanada, Silber für Deutschland und Bronze für Lettland. Dabei hatten Deutschland und Lettland nur halb so viel Talent zur Verfügung wie Patrick Fischer. Was haben die Deutschen und Letten besser gemacht?
29.05.2023, 03:4529.05.2023, 16:51
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Machen wir einen kleinen Test: Wie viele Spieler aus den WM-Teams von Harold Kreis und Harijs Witolinsch wären von Patrick Fischer aufgeboten worden, wenn sie Schweizer wären? Wie viele wären also besser, talentierter als die insgesamt 29 Mann um Captain Nino Niederreiter, die in Riga die Nummer des sterbenden Schwanes aufgeführt haben? Um nicht den Verdacht der Polemik zu wecken, seien nur Zahlen genannt. Ohne Namen zu nennen.

Es wären höchstens sieben oder acht Deutsche und drei oder vier Letten, die fürs Schweizer WM-Team gut genug wären.

Noch nie in diesem Jahrhundert haben so wenig Stars einem WM-Turnier die Aufwartung gemacht. Die Stunde der Aussenseiter. Lettland und Deutschland haben diese einmalige Chance mit Silber und Bronze genutzt. Wir nicht. Mit dem besten WM-Team unserer Geschichte. Ja, internationale Beobachter sind sich einig: Niemand brachte bei der WM 2023 so viel pures Talent aufs Eis wie die Schweizer. Auch die Kanadier waren nicht talentierter als wir.

epa10660405 Players from team Latvia celebrate winning the bronze medal game between Latvia and the USA at the IIHF Ice Hockey World Championship 2023 in Tampere, Finland, 28 May 2023. EPA/KIMMO BRAND ...
Die Letten feiern den grössten Erfolg ihrer Eishockeygeschichte.Bild: keystone

Aber Kanada ist immerhin mit 513'674 Spielenden und nun 28 WM-Titeln die Hockey-Nation Nummer 1. Deutschland (21'090) und Lettland (7898) haben hingegen weniger lizenzierte Spielende als die Schweiz (29'360). Die nationalen Ligen sind, was Budgets, Saläre, grosse Namen und Zuschauerzahlen betrifft, im Vergleich zu unserer National League Operettenligen.

Und doch waren die Deutschen und die Letten besser. Warum? Weil die Schweizer in Riga die Demut verloren haben. Das ist, wie sich jetzt im Rückblick zeigt, der zentrale Punkt: Sie wollten modern sein. Sie haben nach den vier Siegen (7:0 gegen Slowenien, 3:0 gegen Norwegen, 5:0 gegen Kasachstan und 3:2 gegen den späteren Weltmeister Kanada) ohne Not die Grundaufstellung und sogar die Powerplayformationen verändert. Gegen Tschechien hat es noch funktioniert (4:2) und es schien, als habe der Nationaltrainer mehr Optionen und unsere Mannschaft sei für die Gegner unberechenbarer.

epa10661111 Gold medalists Canada pose with the trophy after the IIHF Ice Hockey World Championship 2023 final between Canada and Germany, in Tampere, Finland, 28 May 2023. EPA/KIMMO BRANDT
Der Kader von Eishockey-Mutterland Kanada war nicht besser besetzt als jener der Schweiz. Bild: keystone

Aber dann sind fürs letzte Gruppenspiel gegen Lettland auch noch vier wichtige Spieler und die zwei besten Goalies geschont worden. Die Konzentration und die Dynamik gingen verloren: 3:4 n.V gegen Lettland, 1:3 gegen Deutschland.

Die Deutschen und die Letten sind gar nie dazu gekommen, die Demut zu verlieren und arrogant zu werden. Die Deutschen mussten nach drei Startniederlagen die restlichen vier Gruppenspiele gewinnen, um in den Viertelfinal zu kommen. Bundestrainer Harold Kreis brachte es auf den Punkt:

«Für uns war der Viertelfinal gegen die Schweiz einfach das nächste Spiel, das wir nicht verlieren durften.»

Für die Letten hatte die WM mit einer bitteren 0:6-Pleite gegen Kanada begonnen und sie brauchten im letzten Gruppenspiel gegen die Schweiz mindestens einen Punkt für den Viertelfinal.

epa10661084 Head coach of silver medalist team Germany, Harold Kreis (C) after losing the gold medal game between Canada and Germany at the IIHF Ice Hockey World Championship 2023 in Tampere, Finland, ...
Das Maximum aus seinem Team herausgeholt: Harold Kreis holt mit Deutschland Silber.Bild: keystone

Kommt dazu: Eishockey hat in Deutschland bei weitem nicht den gleich hohen Stellenwert wie in der Schweiz. Schon von Haus aus sind die Deutschen bei einer WM demütiger.

Kontinuität ist im Sport wünschenswert. Sofern diese Kontinuität nicht zu Selbstzufriedenheit führt und sofern sie eine ständige kritische Auseinandersetzung erlaubt. Patrick Fischer ist seit 2015 im Amt. Das ist erfreulich und richtig. Aber eine kritische Auseinandersetzung gibt es bei seinem Arbeitgeber (bei der Verbandsführung) nicht.

Das Politbüro der untergegangenen Sowjetunion ist mit Kritik souveräner umgegangen.

Der Deutsche Eishockey-Bund ist seit 2015 nie zur Ruhe gekommen. Marco Sturm führte die Mannschaft 2018 nach einem Sieg über die Schweiz im Achtelfinal am Ende zu Olympischem Silber, sein Nachfolger Toni Söderholm 2021 bei der WM nach einem Sieg über die Schweiz auf den 4. Platz und nun hat Harold Kreis nach einem Sieg gegen die Schweiz im Viertelfinal schliesslich Silber geholt. Er konnte die Mannschaft erst im Laufe der Saison übernehmen. Toni Söderholm war aus einem laufenden Vertrag davongelaufen, um in Bern zu versagen. Drei Bundestrainer, drei Siege gegen die Schweiz, drei Exploits.

Bei so viel Unruhe gibt es keine Selbstüberschätzung. Da bleibt nur Demut. So gesehen ist es logisch, dass Patrick Fischer seinen grössten Triumph (WM-Silber) 2018 gefeiert hat. Nach einem völlig missratenen Olympischen Turnier – mit Medaillen-Anspruch angereist, nach einer Achtelfinalniederlage gegen Deutschland schon wieder abgereist – stand sein Amt heftig zur Debatte.

Patrick Fischer, head coach of Switzerland national ice hockey team, gestures behind his players Switzerland's forward Dario Simion #59, Switzerland's forward Christoph Bertschy #88, Switzer ...
Patrick Fischer steht vor einer ungewissen Zukunft.Bild: keystone

Das WM-Turnier begann ein paar Wochen später mit einem blamablen Punktverlust gegen Österreich (3:2 n.V). Um in den Viertelfinal zu kommen, musste das letzte Gruppenspiel gegen Frankreich gewonnen werden. Es war bis heute die letzte WM, bei der wir bis zuletzt um die Viertelfinal-Qualifikation gezittert haben. Die bisher letzte WM, bei der wir demütig waren. Die letzte WM, bei der wir unser Potenzial ausgeschöpft haben. Die letzte WM, bei der wir eine Medaille geholt haben.

Nun, da wir das Endresultat der WM 2023 kennen, wird klar ersichtlich: Die Deutschen und die Letten haben die Medaille geholt, die eigentlich für uns reserviert war. Silber für Deutschland, Bronze für Lettland:

Das ist das Salz in unseren Wunden von Riga.

Die Schweizer haben eine WM-Medaille, ja eine Jahrhundertchance auf den WM-Titel verschenkt. Die Schmach von Riga ist umso bitterer, weil sie zu einem viel zu grossen Teil hausgemacht ist. Es gibt nicht eine einzige Ausrede.

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quelle: keystone / ennio leanza
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50 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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hgehjvkoohgfdthj
29.05.2023 08:31registriert März 2020
Talentiert, aber Demut verloren. Aha. Schöne Theorie. Ich sehe das weniger romantisch: die Schweizer haben nachgelassen, nachdem sie bereits vor dem Lettland-Spiel als Gruppensieger feststanden. Das absolute Muss-Ziel wurde eindrücklich übertroffen. Sie konnten zeigen, was sie drauf haben. Danach war die Luft draussen, das hat man gegen Lettland und Deutschland klar gesehen. Ist eine Mentalitätsschwäche, unter der das Schweizer Hockey schon öfters gelitten hat. Ein schwieriger Job für jeden Trainer.
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Jeff Bandura
29.05.2023 06:52registriert Februar 2021
Es ist genau diese "Demut", die den Schweizern in der entscheidenden Turnierphase gefehlt hat. Wer schon vor dem 1. Spiel überhaupt von der Goldmedaille spricht, muss sich nicht wundern, wenn er plötzlich noch mehr als ohnehin unter Druck gerät, wenn ein Viertelfinalspiel nicht wie alle bisherigen Spiele verläuft....
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DarcyTucker
29.05.2023 09:03registriert März 2022
Das mit der Krtik glaube ich auch. Weibel der Fischi einen "Super Job" attestiert gleich nach dem 1/4final zeigt die Mentalität. Fischer steht unter Druck, weil er keinen Plan oder Idee hat, falls sein Plan A nicht mehr greift. Zudem hat er ein schlechtes PP, mangelndes Ingame Coaching, veranlasste zu wenig Netfront presence und macht zu viel blabla. Ich mag aber seine Einstellung zu den Spielern und das offensivere Hockey. Aber ab dem 1/4final ists wie in den Playoffs....die Teams lassen weniger zu als in der Vorrunde. Seine Zeit als Coach muss ablaufen, trotzdem ein Danke fürs Geleistete.
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